Dritter Blockeintrag: Wenn Geschichten sich miteinander verbinden – Teil 1
Ich spürte die Kälte der Klinge und die unwirklich durchzuckenden Schmerzen.
Zornig und fassungslos über die fremde Soldatin, die sich das Recht herausnahm, Nahima einfach niederzustechen, wollte ich ihr etwas entgegensetzen.
Ich gab Nahima die Kraft, über die tödliche Verletzung hinauszuwachsen – um sich an ihr zu rächen.
Doch Nahima war nicht wütend.
Sie wollte der Soldatin kein Leid zufügen.
Sie nutzte die von mir zugeschriebene Kraft, um ihr zu vergeben – und sich selbst in ihr zu erkennen.
Mit dieser Entscheidung traf sie nicht nur die Soldatin, sondern auch mich tief.
Auch wenn Nahima lange keine vollständige Geschichte für mich ergab und eher zu den Bruchstücken gehörte, ließ sie mich nicht mehr los.
Ich kehrte gedanklich immer wieder zu ihr zurück.
Morgens, auf dem Weg zur Arbeit, folgte ich ihren Schritten, während sie sich ihren tiefsten Ängsten stellte.
Nahima schritt durch eine Gasse voller Soldaten, die ihr feindlich gesinnt waren – und sie doch gewähren ließen.
Währenddessen ging ich durch den Park, vorbei an Bäumen und Sträuchern.
Ich begleitete sie, bis sie – nach einem inneren Kampf um Schicksal und Selbstbestimmung – vor dem feindlichen König stand.
Und ich stand vor der Arbeit.
Versteht mich nicht falsch, ich mochte meine Arbeit –
doch in diesem Moment war das Lied zu Ende.
Nahima begleitete mich in die Ausbildung.
Das Schreiben verschwand ganz aus meinem Alltag.
Nur in Gedanken erlaubte ich mir noch gelegentliche Abstecher in meine Lied-Geschichten.
Drei Jahre lang spürte ich immer wieder:
Da ist etwas, das ich vermisse.
Ich fand das Vertrauen, dass meine Geschichten zu mir zurückkehren würden, wenn die Zeit reif war,
den Glauben, dass sie ein Teil von mir waren –
und deshalb nie verloren gehen konnten.
An einem Tag, als der Mais hoch stand und Nebelschwaden durch die Felder krochen,
stieg ich auf mein Fahrrad – unterwegs zur ersten Unterrichtsstunde –
und tauchte seit Langem wieder in einen kreativen Prozess ein.
Es war, als hätte der Nebel mich gerufen.
Ich dachte an eine Geschichte über eine Stadt, die ihre besten Tage längst hinter sich hatte.
Eine Story, erzählt aus der Sicht der Geister und Seelen, die dort lebten –
und eines Geists, der die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten überschreiten konnte.
Die Geister begannen aus der Stadt zu strömen.
Ich betrachtete die Scheinwerfer der entfernten Autos, wie sie durch den Nebel wanderten.
Mit ihrem Weggang verlor die Stadt ihr innerstes Leben, als würde auch ihre Seele sie verlassen.
Bevor der Geist entscheiden konnte, für Frieden zwischen Leben und Tod zu sorgen,
kam ich an der Berufsschule an.
Diese gedanklichen Eindrücke zogen mich zurück zu Nahima.
Ich beschloss, auch ohne die ganze Geschichte zu kennen, das aufzuschreiben, was sie mir bereits gezeigt hatte.
Meine Gedanken kreisten intensiver um ihre Vergangenheit – und zogen mich tiefer in ihre Realität.
Es war erneut ein Moment der Stille – eine Ruhe, die Großes ankündigte – in der mir klar wurde, dass ich schon viel mehr über Nahima wusste, als ich gedacht hatte.
Der Hammer fiel.
Funken sprühten.
Und ich erkannte:
Der Großteil meiner Lied-Geschichten waren bereits Bruchstücke von Nahimas Geschichte.
Ich musste sie nur noch zusammensetzen.